Willkommen in der Widerstandslosigkeit
18.10.06 18:24
#1
denkidee
Willkommen in der Widerstandslosigkeit
Willkommen in der Widerstandslosigkeit
von Jochen Steffens
Okay, soll es das jetzt schon gewesen sein? So eine kurze Konsolidierung? Ein laues Lüftchen? Kann ich kaum glauben, auch wenn es durchaus möglich wäre! Ich habe immer wieder den Nikkei-Vergleich im Hinterkopf. Im Nikkei ging es im letzten Jahr auch einfach immer weiter, es wurden keine Gefangenen gemacht.
Und nun sitze ich genau in der Klemme, von der ich gestern geredet habe. Zurückkaufen oder noch abwarten? Ich warte noch etwas ab, denn das was da gerade an den Märkten passiert ist zu seltsam, etwas ungesund. Zum Glück ist das Depot weiterhin massiv Long ausgerichtet, sonst würde ich unter Umständen etwas nervöser werden.
Intel hatte die Erwartungen übertroffen, IBM hat die Erwartungen übertroffen, Motorola hat die Erwartungen enttäuscht. Eigentlich alles sehr gute Vorzeichen, dazu kamen entsprechende Konjunkturdaten (siehe weiter unten). Aber eine wirkliche Konsolidierung war das nicht
Ungewissheit ist der Name der Börse
Es ist eben diese beständige Ungewissheit, die das Los des Traders so wahnsinnig anstrengend und in letzter Konsequenz auch unbefriedigend macht. Niemand weiß, was in den Märkten gleich passieren wird, erst recht nicht morgen, in einer Woche, in einem Jahr.
Heute morgen hörte ich einen Analysten, dem man deutlich diese Unsicherheit anmerken konnte. Ich kann seine Sätze leider nicht genau wiedergeben, aber es hörte sich im Prinzip folgendermaßen an. „Also ich bin davon überzeugt, dass es eine längere Konsolidierung geben wird, wenn nicht der Markt wieder einmal in die vollkommen andere Richtung geht.“ Dieser letzte Einschub beweist, wie oft dieser Analyst (in letzter Zeit?) mit seinen „Überzeugungen falsch gelegen hat“. Das ist auch vollkommen normal, das geht jedem so, der an der Börse arbeitet. Es gibt jedoch eine Nuancierung dazu, die zunächst kaum auffällt, aber doch für die eigene Psyche einen entscheidenden Unterschied enthält. Sie haben folgenden Satz bei mir schon häufiger gelesen:
„Ich bin davon überzeugt, dass der Markt weiter steigen wird, und zwar genauso so lange, bis der Markt mir das Gegenteil beweist.“ Sicherlich werden Sie nun fragen, wo der Unterschied liegt.
Es ist nur eine Nuance. Ich habe eine Überzeugung, und ich muss überzeugt sein, dass der Markt in eine bestimmte Richtung läuft, ansonsten könnte ich nicht mein Geld investieren. Aber ich habe diese Überzeugung eben nur so lange, bis der Markt etwas anderes anzeigt, dann ändere ich meine Meinung sofort, ohne Umschweife, kompromisslos und wenn er dann wieder etwas anderes anzeigen würde, ändere ich eben wieder meine Meinung. Der Markt hat halt immer Recht.
Widerstandslosigkeit als Frustrationsvermeidung an der Börse
In dem letzten Satz des Analysten von heute morgen verbarg sich Resignation – ein Sorge des Scheiterns, im Prinzip sogar Angst. Gegen dieses hohe Frustrationspotential setze ich „Widerstandslosigkeit“. Sie können nur dann frustriert sein, oder resignieren, wenn etwas geschieht, mit dem Sie nicht einverstanden sind. Etwas, das ihr Ego angreift, etwas, das Ihnen widerstrebt – sprich, einen Umstand dem Sie Widerstand entgegen setzen.
Ziel vieler Religionen
Würde man, rein theoretisch, gegen nichts, was geschieht Widerstand leisten, also alles annehmen, so wie es ist, es wäre kein Ärger mehr in einem; kein Frust, keine Wut, keine Sorgen, eigentlich überhaupt keine schlechten Gefühle mehr. Das wäre die Erlösung von allem Leid! Aber leider ist das fast „übermenschlich“. Trotzdem wird im Prinzip in vielen Religionen (einschließlich Christentum) dieser Welt auf verschiedenste Art und Weise versucht, diesen Zustand vollkommener Widerstandslosigkeit (Hingabe) zu erreichen.
Mich interessiert dieser Umstand besonders in Bezug zur Börse:
Wenn Sie erst einmal erkannt haben, dass die Börse nicht eine Sekunde lang vorherzusagen ist, wenn Sie akzeptieren, dass jede Prognose durch Umstände, die Sie nicht bedacht haben (bis hin zu Terroranschlägen) von einer Sekunde zur anderen zunichte gemacht werden kann, dann sind Sie an der Börse angekommen. Gleichzeitig birgt aber diese Erkenntnis auch ein gewisses Frustrationspotenzial. Macht es dann noch Sinn, an der Börse Geld zu investieren?
Die Eigenart der Wahrscheinlichkeit ist die Zuverlässigkeit der Fehltrades
Es macht Sinn, denn es geht immer nur um Wahrscheinlichkeiten. Wahrscheinlichkeiten, die weit über 50 % liegen. Aber selbst wenn in 7 von 10 ähnlichen Fällen, der Markt sich so verhält, bleiben 3 Fälle, in denen er sich nicht so verhält. Warum sollte man sich dann in diesen 3 Fällen aufregen? Warum sollte man sich ärgern? Man kann einen Fehltrade, eine falsche Prognose einfach auch als "Normalität" ansehen, die schließlich Kern der „Wahrscheinlichkeit“ ist. Dann wird man seinen Widerstand aufgeben, lächeln und sich die nächste Chance suchen. Das ist traden und gilt ganz besonders für das kurzfristige Traden. Der Markt hat schließlich immer Recht, so oder so – willkommen in der Widerstandslosigkeit.
von Jochen Steffens
Okay, soll es das jetzt schon gewesen sein? So eine kurze Konsolidierung? Ein laues Lüftchen? Kann ich kaum glauben, auch wenn es durchaus möglich wäre! Ich habe immer wieder den Nikkei-Vergleich im Hinterkopf. Im Nikkei ging es im letzten Jahr auch einfach immer weiter, es wurden keine Gefangenen gemacht.
Und nun sitze ich genau in der Klemme, von der ich gestern geredet habe. Zurückkaufen oder noch abwarten? Ich warte noch etwas ab, denn das was da gerade an den Märkten passiert ist zu seltsam, etwas ungesund. Zum Glück ist das Depot weiterhin massiv Long ausgerichtet, sonst würde ich unter Umständen etwas nervöser werden.
Intel hatte die Erwartungen übertroffen, IBM hat die Erwartungen übertroffen, Motorola hat die Erwartungen enttäuscht. Eigentlich alles sehr gute Vorzeichen, dazu kamen entsprechende Konjunkturdaten (siehe weiter unten). Aber eine wirkliche Konsolidierung war das nicht
Ungewissheit ist der Name der Börse
Es ist eben diese beständige Ungewissheit, die das Los des Traders so wahnsinnig anstrengend und in letzter Konsequenz auch unbefriedigend macht. Niemand weiß, was in den Märkten gleich passieren wird, erst recht nicht morgen, in einer Woche, in einem Jahr.
Heute morgen hörte ich einen Analysten, dem man deutlich diese Unsicherheit anmerken konnte. Ich kann seine Sätze leider nicht genau wiedergeben, aber es hörte sich im Prinzip folgendermaßen an. „Also ich bin davon überzeugt, dass es eine längere Konsolidierung geben wird, wenn nicht der Markt wieder einmal in die vollkommen andere Richtung geht.“ Dieser letzte Einschub beweist, wie oft dieser Analyst (in letzter Zeit?) mit seinen „Überzeugungen falsch gelegen hat“. Das ist auch vollkommen normal, das geht jedem so, der an der Börse arbeitet. Es gibt jedoch eine Nuancierung dazu, die zunächst kaum auffällt, aber doch für die eigene Psyche einen entscheidenden Unterschied enthält. Sie haben folgenden Satz bei mir schon häufiger gelesen:
„Ich bin davon überzeugt, dass der Markt weiter steigen wird, und zwar genauso so lange, bis der Markt mir das Gegenteil beweist.“ Sicherlich werden Sie nun fragen, wo der Unterschied liegt.
Es ist nur eine Nuance. Ich habe eine Überzeugung, und ich muss überzeugt sein, dass der Markt in eine bestimmte Richtung läuft, ansonsten könnte ich nicht mein Geld investieren. Aber ich habe diese Überzeugung eben nur so lange, bis der Markt etwas anderes anzeigt, dann ändere ich meine Meinung sofort, ohne Umschweife, kompromisslos und wenn er dann wieder etwas anderes anzeigen würde, ändere ich eben wieder meine Meinung. Der Markt hat halt immer Recht.
Widerstandslosigkeit als Frustrationsvermeidung an der Börse
In dem letzten Satz des Analysten von heute morgen verbarg sich Resignation – ein Sorge des Scheiterns, im Prinzip sogar Angst. Gegen dieses hohe Frustrationspotential setze ich „Widerstandslosigkeit“. Sie können nur dann frustriert sein, oder resignieren, wenn etwas geschieht, mit dem Sie nicht einverstanden sind. Etwas, das ihr Ego angreift, etwas, das Ihnen widerstrebt – sprich, einen Umstand dem Sie Widerstand entgegen setzen.
Ziel vieler Religionen
Würde man, rein theoretisch, gegen nichts, was geschieht Widerstand leisten, also alles annehmen, so wie es ist, es wäre kein Ärger mehr in einem; kein Frust, keine Wut, keine Sorgen, eigentlich überhaupt keine schlechten Gefühle mehr. Das wäre die Erlösung von allem Leid! Aber leider ist das fast „übermenschlich“. Trotzdem wird im Prinzip in vielen Religionen (einschließlich Christentum) dieser Welt auf verschiedenste Art und Weise versucht, diesen Zustand vollkommener Widerstandslosigkeit (Hingabe) zu erreichen.
Mich interessiert dieser Umstand besonders in Bezug zur Börse:
Wenn Sie erst einmal erkannt haben, dass die Börse nicht eine Sekunde lang vorherzusagen ist, wenn Sie akzeptieren, dass jede Prognose durch Umstände, die Sie nicht bedacht haben (bis hin zu Terroranschlägen) von einer Sekunde zur anderen zunichte gemacht werden kann, dann sind Sie an der Börse angekommen. Gleichzeitig birgt aber diese Erkenntnis auch ein gewisses Frustrationspotenzial. Macht es dann noch Sinn, an der Börse Geld zu investieren?
Die Eigenart der Wahrscheinlichkeit ist die Zuverlässigkeit der Fehltrades
Es macht Sinn, denn es geht immer nur um Wahrscheinlichkeiten. Wahrscheinlichkeiten, die weit über 50 % liegen. Aber selbst wenn in 7 von 10 ähnlichen Fällen, der Markt sich so verhält, bleiben 3 Fälle, in denen er sich nicht so verhält. Warum sollte man sich dann in diesen 3 Fällen aufregen? Warum sollte man sich ärgern? Man kann einen Fehltrade, eine falsche Prognose einfach auch als "Normalität" ansehen, die schließlich Kern der „Wahrscheinlichkeit“ ist. Dann wird man seinen Widerstand aufgeben, lächeln und sich die nächste Chance suchen. Das ist traden und gilt ganz besonders für das kurzfristige Traden. Der Markt hat schließlich immer Recht, so oder so – willkommen in der Widerstandslosigkeit.